Unterbringung für Nothilfebezüger – eine Verbesserung in Basel?

Text: Jonathan Geppert

Abdu[1] ist abgewiesener Asylsuchender und lebt in Basel Stadt von der Nothilfe. Seit er 2019 volljährig wurde, ist er in der Notschlafstelle untergebracht: «In letzter Zeit hatte ich oft Panik in der Nacht. Bei jedem Geräusch bin ich aufgeschreckt.». Die Notschlafstelle verfügt über vier Stockwerke mit 5 Zimmern zu je vier Betten. Wer ein Schloss mitbringt, kann in den Fächern in den nicht abschliessbaren Zimmern ein paar Kleider einschliessen. Für eine Tasche oder einen Koffer seien sie zu klein, sagt Abdu, und ergänzt: «Nach und nach wurden alle meine Kleider gestohlen. Die Kleider, die ich anhabe, bekam ich von einem Freund». Diebstähle sind ein grosses Problem in der Notschlafstelle. Es kursieren viele Beschwerden, weil Handys, Geld, Kleider oder Schuhe Morgens eben einfach weg waren.

Im Durchschnitt sind in Basel-Stadt 120 abgewiesene Asylbewerber auf die Nothilfe angewiesen. Etwa die Hälfte davon sind Familien oder vulnerable Einzelpersonen, die eine private Unterkunft haben. Von der anderen Hälfte übernachten fünfzehn bis zwanzig Personen regelmässig in der Notschlafstelle. Den Tag müssen sie woanders verbringen, in der Notschlafstelle können sie nur von 20 Uhr abends bis 8 Uhr morgens sein. Die zeitlichen Vorgaben werden strikt durchgesetzt:  Einlass ist bis 24 Uhr möglich, wer später kommt, muss draussen bleiben. Und wer morgens zu spät geht,  bekommt – manchmal schon beim ersten oder zweiten Mal – Hausverbot für mindestens drei Tage. Die Polizei jedoch hat immer Zugang. «Letztes Jahr sind sie einmal um 4 Uhr morgens gekommen», erzählt Abdu, «und haben gesagt, ich müsse eine Busse von 100 Franken sofort zahlen oder mitkommen. Ich hatte nur 60 Franken dabei, aber zum Glück konnte mir ein Freund 40 Franken ausleihen. Seid dann konnte ich dort nicht mehr richtig durchschlafen.»

Nothilfebezüger:innen haben zwölf Franken pro Tag zur Verfügung. Da es in der Notschlafstelle keine Kochgelegenheit gibt, muss sich, wer dort untergebracht ist, auswärts verpflegen. «Enweder du isst zweimal etwas, oder trinkst Kaffe.» sagt Abdu. Unter diesen Umständen den Ramadan zu respektieren, ist nahezu unmöglich: «Dann isst Du die ganze Zeit nur Sandwichs.»

«Diese Praxis ist unwürdig und verursacht eine Reihe von zusätzlichen Problemen mit Folgekosten, insbesondere gesundheitliche Probleme, die mit einer anderen und besseren Lösung vermindert werden könnten», sagt Oliver Bolliger, Mitglied des Grossen Rats für BastA!. Er hat 2020 in einer Motion eine «menschenwürdigere Unterbringungspraxis» gefordert. Im Gespräch betont er, dass die Notschlafstelle «wie der Name schon sagt», ein Angebot für kurzfristige Notsituation sei, und keinesfalls geeignet für eine langfristige Unterbringung, etwa von abgewiesenen Asylbewerbern.

Infolge der Motion Bolliger gibt es nun allerdings seit Januar 2022 auch für Nothilfebezüger:innen die Möglichkeit, in einer angemesseneren Unterkunft unterzukommen. Tatsächlich, sagt Bolliger,  profitieren bereits einige Personen von dieser Verbesserung. Andere aber, wie Abdu, werden nach wie vor an die Notschlafstelle verwiesen.

Zwei Hürden auf dem Weg zu einer angemessenen Unterkunft.

Zwischen den Absichten der Motion Bolliger und ihrer Realisierung tun sich Abgründe auf: Einerseits haben Nothilfebezüger nur Anspruch auf eine bessere Unterkunft, wenn sie davor sechs Monate in der Notschlafstelle ausgeharrt haben. Andererseits werden alle, die «deliktisch» werden, von dem neuen Recht auf bessere Unterbringung ausgeschlossen. Oliver Bolliger missbilligt diese Einschränkung: «Wenn die Sozialhilfe das formal auslegt, kann bereits eine ÖV-Busse als Delikt gelten. Dabei können derartige Delikte gerade auch ein Ausdruck der Situation sein.» Tatsächlich sehen sich viele Nothilfebezüger:innen gezwungen, in Läden Nahrungsmittel oder Kleider zu stehlen oder im ÖV ohne Billet zu fahren. Abdu musste deshalb schon mehrere Bussen im Bässlergut absitzen.

Zynischerweise rechnet die Sozialhilfe schon damit, dass nur ein Teil der potenziell Berechtigten, nämlich fünf bis zehn Personen, tatsächlich in die neuen Unterkünften einziehen. Und die anderen? Die neue Regelung ist also nur für ganz Wenige eine Verbesserung. Schon die Anforderung, sechs Monate in der Notschlafstelle auszuharren, ohne «deliktisch» zu werden, d.h. Mundraub oder Kleiderdiebstahl zu begehen, ist eine hohe Hürde – und sie schafft neue Ungleichheiten, nämlich die zwischen «deliktischen» und nicht «deliktischen», zwischen kriminalisierten und unbescholtenen Nothilfebezüger:innen.

Die grundlegende Politik, eine angemessene Unterbringung bestimmten Personengruppen zu verweigern, wird beibehalten. Die staatliche Aufgabe einer würdigen Aufnahme wird in solchen Fällen von der Zivilgeselslchaft erbracht. So ist auch Abdu nach zu vielen Nächten in der Notschlafstelle bei Privaten untergekommen.

[1] Name geändert