Geschlechtsspezifische Flucht- und Migrationsgründe gibt es viele: sie reichen von
sexualisierten Gewalterfahrungen, Unterdrückung oder Verfolgung aufgrund des
Geschlechts, über Zwangsheirat und genitale Verstümmelung bis hin zu Menschenhandel
zwecks sexueller Ausbeutung oder zwecks Arbeitsausbeutung zum Beispiel in
Privathaushalten.
Doch trotz zusätzlicher Flucht- und Migrationsgründe schaffen Frauen, trans- und non-
binäre Personen viel seltener den Weg in die Schweiz als Männer. Weshalb?
- Einerseits haben sie teilweise weniger Fluchtmöglichkeiten oder finanzielle Mittel.
- Anderseits sind sie auf der Flucht erneut einem massiv erhöhten Risiko ausgesetzt,
Opfer von sexualisierter oder anderer geschlechtsspezifischer Gewalt zu werden.
Rund 70 Prozent aller geflüchteten Frauen erlebten auf der Flucht (sexualisierte)
Gewalt.
Auch in den europäischen Asylstrukturen und im Dublin-Verfahren sind Frauen, trans- und
non-binäre Personen zu wenig geschützt. In der Schweiz fällt das Staatssekretariat für
Migration SEM regelmässig Nichteintretensentscheide, obwohl die Gefahr von erneuter
geschlechtsspezifischer Gewalt im zuständigen Drittstaat enorm hoch ist.
Ein Beispiel: Die junge Frau A. aus Afghanistan wurde in Zypern von einem Landsmann
mehrfach unter Gewaltanwendung missbraucht. Ihre Eltern erfuhren im Herkunftsland
davon und haben sie verstossen. Nun will die Schweiz sie im Dublin-Verfahren nach Zypern
zurückschicken und sie damit ihrem Vergewaltiger ausliefern.
Das war nicht immer so: Geschlechtsspezifische Fluchtgründe wurden in der
Schweiz auch schon ernster genommen.
1996 gelang es, aufgrund der Beschlüsse der 4. UNO-Weltfrauenkonferenz und auf
gemeinsamen Druck aller Frauenverbände in der Schweiz, die Berücksichtigung von
frauenspezifischen Fluchtgründen ins Asylgesetz zu schreiben (Art. 3 AsylG). Es wurde
zudem festgelegt, dass weibliche Asylsuchende ausschliesslich von Frauen angehört und
übersetzt werden. Für die Umsetzung der neuen Bestimmungen wurde mit Frau Patricia
Ganter eine kompetente Beauftragte für geschlechtsspezifisch Verfolgte eingesetzt – ohne
Nachfolge Ende der Nullerjahre.
Forderungen
Die Unterzeichnenden ersuchen Sie, Herr Bundesrat Beat Jans, um
- Die Wiedereinsetzung einer fachkundigen Beauftragten für
geschlechtsspezifische Fluchtgründe im SEM. - Die Berücksichtigung der erlittenen geschlechtsspezifischen oder
sexualisierten Gewalt im Herkunftsland oder auf der Flucht als Grund für einen
Selbsteintritt. - Die Vergabe von humanitären Visen an Frauen, trans- und non-binäre
Personen, die in ihren Herkunftsländern geschlechtsspezifische Gewalt oder
Gewaltandrohungen erleben. - Das Recht für Frauen, trans- und non-binäre Personen, das Geschlecht der
befragenden und übersetzenden Person frei zu wählen.